BGH URTEIL VIII ZR 327/09 vom 10. November 2010

HGB § 89a
Wenn in einem Handelsvertretervertrag der Verstoß gegen ein vertraglich vereinbartes Wettbewerbsverbot als wichtiger Grund für eine fristlose Kündigung benannt ist, so steht dies einer Vertragsauslegung nicht entgegen, nach der wettbewerbsverstöße, die unter Würdigung aller Umstände so geringfügig sind, dass durch sie das Vertrauensverhältnis zwischen Unternehmer und Handelsvertreter bei verständiger Würdigung nicht grundlegend beschädigt wird, nicht – zumindest nicht ohne vorherige Abmahnung – zur fristlosen Kündigung berechtigen (Fortführung von BGH, Urteil vom
7. Juli 1988 – I ZR 78/87, WM 1988, 1490).
BGH, Urteil vom 10. November 2010
– VIII ZR 327/09 – OLG Stuttgart
LG Tübingen
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Der VIII. Zivilsenat des Bundesgerichtshof
s hat auf die münd
liche Verhandlung
vom 10. November 2010
durch den Vorsitzenden Richt
er Ball, den Richter
Dr. Frellesen, die Richterin Dr. Milger sowie die Richter Dr. Achilles und
Dr. Bünger
für Recht erkannt:
Die Revision der Beklagten gegen
das Urteil des 5. Zivilsenats des
Oberlandesgerichts Stuttgart vo
m 30. November 2009 wird hin-
sichtlich der Kündigung vom 3
./7. Dezember 2007 als unzulässig
verworfen; im Übrigen wird di
e Revision zurückgewiesen.
Die Beklagte hat die Kosten des Revisionsverfahrens zu tragen.
Von Rechts wegen
Tatbestand:
Der Kläger vermittelte seit dem Jahr
1969 – zunächst als Angestellter in
der Agentur seines Vaters und seit dem
1. April 1984 als selbständiger Han-
delsvertreter – Versicherungsverträge für die Rechtsvorgänger der Beklagten
und danach für die Beklagten. In § 4 Nr.
1 des mit dem Kläger im März 1984
geschlossenen Agenturvertr
ages verpflichtete sich
der Kläger, während der
Dauer des Vertragsverhältnisses weder
unmittelbar noch mittelbar für andere
Versicherungsgesellschaften als für die Beklagten und die in dieser Vertragsbe-
stimmung aufgeführten weiter
en Versicherungsunternehmen tätig zu sein. In
§ 11 des Vertrages heißt es unter anderem:
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㤠11 Beendigung des Agenturvertrages
(…..)
3. Die Kündigung des Vertragsverhältnisses kann außerdem von jedem
Teil ohne Einhaltung einer Kündigungsfrist ausgesprochen werden,
wenn ein wichtiger Grund vorliegt. Ein wichtiger Grund, der die
V. zu einer fristlosen Kündigung berechtigt, ist insbesondere
auch bei einem Verstoß gegen § 4 … dieses Vertrages gegeben.“
Im Herbst 2006 erfuhren die Beklagten, dass der Kläger Kfz-
Versicherungsverträge für ein Konku
rrenzunternehmen vermittelt hatte. Der
Kläger räumte in seiner
Stellungnahme vom 19. Okto
ber 2006 ein, in der Ver-
gangenheit etwa zehn von der Beklagt
en gekündigte Kfz-Versicherungen bei
einer anderen Versicherungs
gesellschaft „untergebracht“ zu haben, und erläu-
terte seine Beweggründe dafür. Nach
einer Unterredung vom 6. November
2006 kündigten die Beklagten mit Schr
eiben vom 14. November 2006 den
Agenturvertrag unter Bez
ugnahme auf die Stell
ungnahme des Klägers vom
19. Oktober 2006 und unter Berufung auf §
4 Nr. 1, § 11 Nr. 3 des Vertrages
fristlos.
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Anfang Mai 2007 nahm der Kläger ei
nen selbständigen Agenturbetrieb
für die M.
Versicherung
auf. Wegen dieser Tätigkeit sprachen
die Beklagten am 3. und 7. Dezember 2007 erneut die fristlose Kündigung des
Agenturvertrages aus.
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Der Kläger hat mit seiner Klage die
Feststellung beantragt, dass die frist-
losen Kündigungen vom 14. November
2006 und 3./7. Dezember 2007 den
zwischen den Parteien bestehenden A
genturvertrag nicht beendet haben. Das
Landgericht hat der Feststellungsklage
stattgegeben. Das Oberlandesgericht
hat die Berufung der Beklagten zurückgew
iesen. Mit ihrer vom Berufungsgericht
zugelassenen Revision verfolgen die Beklagten ihr Klageabweisungsbegehren
weiter.
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Nr. 203) hervorgehoben. Dana
ch können die Vertragspar
teien nicht jedes ge-
ringfügige Vorkommnis von vornherein
als einen wichtigen Kündigungsgrund
gelten lassen. Vielmehr muss trotz Vor
liegens einer derartigen Vereinbarung im
Einzelfall festgestellt we
rden, ob der Vorfall so
schwerwiegend ist, dass dem
Kündigenden die Fortsetzung des Vertr
ages nicht mehr zugemutet werden
kann. Dabei ist es für die Beurteilung de
r Zumutbarkeit alle
rdings von Bedeu-
tung, dass die Parteien durch die Hervorhebung bestimmter Tatbestände zu
erkennen gegeben haben, dass
sie einen besonderen Wert auf einen Nichtein-
tritt dieses Tatbestands legen.
Der Rechtsprechung des II. Zivilsenats haben sich der VII. und der I. Zi-
vilsenat des Bundesgerich
tshofs angeschlossen (Urteile
vom 24. Januar 1974
– VII ZR 52/73, WM 1974, 350 unter 1; vo
m 7. Juli 1988 – I ZR 78/87, aaO unter
II 1 und III 1). Im Urteil des VII. Zivils
enats vom 24. Januar 1974 (VII ZR 52/73,
aaO) wird ausdrücklich hervorgehoben, dass
ein vertragliches Konkurrenzver-
bot unter besonderen Umst
änden einschränkend auszulegen sein kann. Nichts
anderes gilt für die vom Berufungsger
icht im Wege der Auslegung vorgenom-
mene Ausklammerung geringfügiger We
ttbewerbsverstöße aus dem Anwen-
dungsbereich des § 11 Nr. 3 Satz 2 des Agenturvertrages.
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Entgegen der Auffassung der Revision
folgt auch aus den Ausführungen
im Urteil des Bundesgerichtshofs vom 7. Juli 1988 (I ZR 78/87, aaO) nicht, dass
die vom Berufungsgericht vorgenomm
ene einschränkende Auslegung von § 11
Nr. 3 Satz 2 des Agenturvertrages unzulässig wäre. Nach dieser Entscheidung
hängt die Berechtigung zu einer außeror
dentlichen Kündigung
bei einer vertrag-
lichen Benennung der eine vorzeitige
Vertragsbeendigung rechtfertigenden
Gründe nicht davon ab, dass zusätzlich
noch besondere Um
stände vorliegen
müssten, die ein Festhalten am Vertrag
unzumutbar machen. Auch dazu steht
das Berufungsurteil nicht im Widerspruc
h. Denn das Berufungsgericht hat die
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Wirksamkeit der fristlosen Kündigung vom 14. November 2006 nicht deshalb
verneint, weil es gefordert hätte, da
ss zu den festgestellten Wettbewerbsver-
stößen zusätzlich noch besondere – hi
er fehlende – Umstände hinzutreten
müssten, um die fristlose Kündigung zu re
chtfertigen, sondern hat die Vertrags-
bestimmung dahin ausgelegt, dass geringfüg
ige Wettbewerbsverstöße von vor-
neherein nicht unter § 11 Nr. 3 Satz 2 des
Vertrages fallen.
An einer solchen
einschränkenden Auslegung des Tatbestand
s der Kündigungsklausel war das
Berufungsgericht nicht gehindert.
2. Hilfsweise macht die Revision gel
tend, eine Abwägung der beiderseiti-
gen Interessen hätte zwingend zu dem
Ergebnis kommen müssen, dass den
Beklagten eine Fortsetzung des Vertragsve
rhältnisses bis zum
Ablauf der regu-
lären Kündigungsfrist nicht zuzumuten gew
esen sei, weil das Interesse der Be-
klagten an einer sofortigen Beendigung des
Vertragsverhältnisses erheblich
höher zu gewichten sei al
s das gegenteilige Interesse des Klägers. Auch damit
dringt die Revision nicht durch.
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Die Beurteilung, ob dem Kündigenden
die Fortsetzung des Vertragsver-
hältnisses bis zum Ablauf der regulären Kündigungsfrist unzumutbar und aus
diesem Grund eine fristlose Kündigung ger
echtfertigt ist, obliegt dem Tatrichter.
Das Revisionsgericht kann die Entscheidun
g des Tatrichters
über das Bestehen
oder Nichtbestehen eines zur außeror
dentlichen Kündigung berechtigenden
wichtigen Grundes nur in beschränkte
m Umfang nachprüfen. Die Wertung
durch den Tatrichter bindet das Revisions
gericht grundsätzlic
h. Es kann den
festgestellten Umständen kein größeres oder geringeres Gewicht beimessen,
als es der Tatrichter für richtig gehal
ten hat. Die Prüfung muss sich darauf be-
schränken, ob das Beruf
ungsgericht den Rechtsbegri
ff des wichtigen Grundes
verkannt hat, ob ihm von der Revision ge
rügte Verfahrensverstöße unterlaufen
sind, ob es etwa wesentliche Tatums
tände übersehen oder nicht vollständig
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gewürdigt hat (st. Rspr.; vgl. Senatsurt
eil vom 17. Dezember 2008 – VIII ZR
159/07, VersR 2009, 355 Rn. 24 mwN). Das is
t hier nicht der Fall. Die Revision
zeigt keinen übergangenen Sa
chvortrag oder andere Rechts
fehler auf. Sie setzt
nur ihre Gewichtung der beiderseitigen Interessen an die Stelle
der tatrichterli-
chen Würdigung.
Ball
Dr. Frellesen
Dr. Milger
Dr. Achilles
Dr. Bünger
Vorinstanzen:
LG Tübingen, Entscheidung
vom 20.03.2009 – 21 O 92/06 –
OLG Stuttgart, Entscheidung
vom 30.11.2009 – 5 U 52/09 –

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